Beim Kulturjournalismus wird häufig gespart, gleichzeitig wandeln sich die Medien rasant und das künstlerische Angebot wächst. Doch wie soll Kultur zukünftig vermittelt werden und wo Diskurse über die Gesellschaft stattfinden? Diesen Fragen gingen am 27. Januar beim IBK-Kulturforum in Winterthur gut 180 Kulturschaffende, Medienleute und Wissenschaftler aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und Liechtenstein nach.
Der Zürcher Regierungsrat Dr. Markus Notter berichtete in seinem Grußwort, dass sich auf Ausschreibungen des Kantons zur Öffentlichkeitsarbeit immer mehr qualifizierte Journalisten bewerben. Das freue ihn als Arbeitgeber, doch weise dies auch darauf hin, dass die Attraktivität der Medien für gut ausgebildete Journalisten abnehme.
Weitere Trends in den Medien und im Kulturjournalismus sind Generalisierung und Angleichung, der verstärkte Einfluss von Public Relations sowie Popularisierung und Spezialisierung. Woran das liegt und was unternommen werden kann, um auch zukünftig Kultur passend für verschiedenste Zielgruppen zu vermitteln, war Gegenstand des IBK-Kulturforums.
Wo ist überall Kultur enthalten?
Einer der Höhepunkte des Kulturforums war der Vortrag von Professor Thomas Steinfeld, Ressortleiter Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Er beschrieb eindrücklich, wie das Feuilleton in den letzten Jahren weitere Zeitungsbereiche, wie Wirtschaft und Politik, immer mehr durchdrungen habe. Auch würden durch Entwicklungen wie dem Nachrichtenportal Twitter Ereignisse und die Berichterstattung darüber fast gleichzeitig stattfinden. Mit seinem Beitrag „Über das Nachdenken und seinen Ort in der Gesellschaft" wies er daher auf die wichtige Funktion des Kulturjournalismus hin: gesellschaftliche Entwicklungen für ein breiteres Publikum zu reflektieren und aufzuzeigen, wo überall Kultur enthalten sei, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht immer ersichtlich sei. Steinfeld nannte das Beispiel der Autoindustrie, die sich bereits heute sehr konkrete Gedanken mache, welche Gesellschaft in 15 Jahren ihre Autos kaufen werde.
Real existierender Kulturjournalismus und neue Experimente
Chefredaktorin Colette Gradwohl stellte mit dem Landboten, der in einer Auflage von 100.000 Exemplaren in Winterthur und Umland als sogenannte Lokal- und Regional-Komplettzeitung erscheint, ein Beispiel „real existierenden Kulturjournalismus" vor. Sie zeichnete die Wandlung des Feuilletons während der letzten Jahrzehnte nach und demonstrierte, wie eine regionale Tageszeitung heute Kulturvermittlung betreibt. Mit
www.kulturkritik.ch präsentierte Dr. Stefan Schöbi ein experimentelles Projekt: eine Plattform zur Vergabe, Abwicklung und Veröffentlichung von Kritiken über kulturelle Veranstaltungen.
Zwischen Kritik und Vermittlung
Die abschließende Podiumsdiskussion mit Kulturakteuren, Medienleuten und Vertretern der Wissenschaft zeigte vor allem einen Konflikt zwischen echter Kritik und dem Wunsch von Veranstaltern, neue Zuschauer zu gewinnen. Beklagt wurde auch das „Recycling" von Kulturkritik. Genannt wurde das Beispiel eines bekannten Schweizer Autors. Dessen erstes Buch seit zehn Jahren sei zwar in zwölf Zeitungen rezensiert worden, jedoch handelte es sich letztlich nur um drei verschiedene Kritiken, die von den anderen Medien zugekauft wurden. Moderator Dr. Peter Stücheli-Herlach vom Institut für Angewandte Medienwissenschaft schloss mit dem Appell an die Anwesenden, selber mediale Settings zu entwickeln, in denen Kulturjournalismus (wieder) möglich wird, in gute Aus- und Weiterbildung zu investieren und das Gespräch untereinander zu pflegen.
Die Veranstaltung der Internationalen Bodensee Konferenz (IBK) wurde vom Institut für Angewandte Medienwissenschaft (IAM) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Auftrag der Fachstelle Kultur des Kantons Zürich organisiert.
Eine umfangreiche Tagungsdokumentation mit Podcasts und Fotos finden Sie auf der Internetseite des IAM:
www.linguistik.zhaw.ch/iam/ibk-kulturforum