Die Versorgung und Pflege älterer und kranker Menschen gehört zu den größten gesellschaftlichen Herausforderungen und gilt als das Berufsfeld der Zukunft. Wie aber können mehr Menschen für eine Arbeit in diesen sozialen Bereichen gewonnen werden? „Neue Denkansätze zur Nachwuchssicherung in künftigen Versorgungsstrukturen von Pflege und Gesundheit" lautete der Titel einer gemeinsam von der Internationalen Bodensee Konferenz (IBK) und der Stiftung Liebenau organisierten Tagung. In Vorträgen, Workshops und einer Podiumsdiskussion beschäftigten sich namhafte Referenten und Teilnehmer aus der Vierländerregion Bodensee und darüber hinaus mit diesem wichtigen Thema.
„Wir tragen länderübergreifend die Sorge in uns, dass wir die steigenden Anforderungen nicht mehr erfüllen können", schilderte Moderator Thomas Knäple von up-Consulting Liechtenstein die aktuelle Lage. Doch welche Veränderungen im Gesundheits- und Pflegebereich kommen auf unsere Gesellschaft tatsächlich zu? Wie wirken sich die Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen auf die Berufsbilder aus? Was müssen Politik, Sozialunternehmen und Bildungsträger dafür tun, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten? Zentrale Fragen, vor denen man viel zu lange die Augen verschlossen habe, obwohl sich eine durchgreifende demografische Entwicklung schon seit vielen Jahren abzeichne, wie Prof. Dr. Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld erklärte.
Zahl der Pflegebedürftigen steigt
Denn klar ist: wir werden immer älter. „2050 werden knapp zehn Millionen Menschen über 80 Jahre alt sein", rechnete Schaeffer vor. Das wären 14 Prozent der Gesamtbevölkerung. Zum Vergleich: heute liegt der Anteil bei 5,4 Prozent. Das sei eigentlich kein „Problem" – schließlich ist ein langes Leben der Wunsch der meisten Menschen – aber eine große Herausforderung. Denn der Zugewinn an Lebensjahren bedeute nicht immer auch einen Zugewinn an gesunden Lebensjahren. So sei mit einem dramatischen Anstieg chronischer Erkrankungen zu rechnen, der Demenz etwa. Die Zahl der Pflegebedürftigen dürfte bis zum Jahre 2050 wohl mindestens auf über viereinhalb Millionen steigen, prognostizierte Schaeffer. Das heißt: „Die Pflege wird künftig noch weiter an Bedeutung gewinnen." Der Trend gehe dabei hin zu ambulanten Versorgungsstrukturen, wobei sich der hilfebedürftige Mensch vom passiven und kurzzeitigen zum eher dauerhaften, „arbeitenden Patienten" entwickle. Und zwar oft in den eigenen vier Wänden: „Dort wird Krankheit bewältigt und betreut."
Menschen gewinnen
Und diese Menschen wollen versorgt werden. Wie viele Fachkräfte hierbei künftig wirklich fehlen werden, da gehen die Expertenmeinungen weit auseinander. Einigkeit herrscht aber in der Annahme, dass es im Pflege- und Gesundheitswesen diese Lücke geben wird. Was kann getan werden, um diese zu schließen? Wie können junge Menschen für diese Berufe begeistert werden? Imagekampagnen sind das eine. Wie Manfred Zach vom baden-württembergischen Sozialministerium berichtete, habe das Land unter dem Motto „Vom Fach – für Menschen" eine solche gestartet, um berufliche Ein- und Umsteiger für die Arbeit im sozialen Bereich zu gewinnen. Auch Heidi Hanselmann, Regierungsrätin und Vorsteherin des Gesundheitsdepartements des Kantons St. Gallen, berichtete von derartigen Bemühungen („Heldinnen und Helden") auf der anderen Seite des Bodensees.
Imagekampagnen alleine helfen nicht
Doch Imagekampagnen allein, so das Credo der Veranstaltung, sind nicht die Lösung. Gefordert wurden darüber hinaus zum Beispiel attraktivere Arbeitsmodelle. Dabei gehe es nicht nur um Geld, sondern etwa um familienfreundliche Rahmenbedingungen – und mehr Anerkennung. So sei der Ruf der Pflegejobs oft auch schlechter als die tatsächlichen Bedingungen im beruflichen Alltag. Das Engagement und die Qualität der Beschäftigten sei hoch, und das müsse so bleiben: „Wir wollen doch unsere Angehörigen gut gepflegt wissen", sagte Dr. Renate Müssner, Regierungsmitglied des Fürstentums Liechtenstein.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist gefragt
Die Anforderungen an eine zeitgemäße Pflegefachkraft sind vielschichtig: Kooperation mit Angehörigen, Patienteninformation, berufsübergreifende Zusammenarbeit oder Schnittstellenmanagement seien mehr denn je gefragt. Und wie sich das Berufsbild wandle, so müsse sich auch die Ausbildung verändern. Auf eine nötige „Professionalisierung der Pflege" wurde deshalb hingewiesen. Wie Dr. Elisabeth Rappold von der Gesundheit Österreich GmbH aufzeigte, gebe es heute viele verschiedene Akteure und Berufe, so genannte „Player", im Gesundheitsbereich. Diese müssten zu einer interdisziplinären Zusammenarbeit finden und einen optimalen Mix bilden. Für die künftige Ausbildung in Sachen Pflege stellte sie ein Kompetenzmodell vor: mehrstufige und durchlässige Qualifikationen, die Aufstiegschancen gewährleisten. Es sei wichtig, den Beschäftigten in der Pflege- und Gesundheitsbranche Karrierechancen aufzeigen zu können, gerade auch für langjährige, ältere Mitarbeiter.
Alle Bildungsstufen ansprechen
Ein solches generalistisches Ausbildungsprofil befürworteten auch die anderen Diskussionsteilnehmer. Regierungsrätin Heidi Hanselmann forderte zudem, in der grenzüberschreitenden Harmonisierung der Ausbildung „endlich Nägel mit Köpfen zu machen". Die Erhöhung der generellen Zugangsvoraussetzungen – etwa von zehn auf zwölf Schuljahre – stieß dagegen auf Skepsis. „Wir wollen niemand im System außen vor lassen", betonte Dr. Christian Bernhard von der Vorarlberger Landesregierung. Dabei wurden höhere, akademische Pflegeabschlüsse durchaus begrüßt – als Ergänzung zu anderen Ausbildungsgängen. Für keine durchgehende Akademisierung, sondern eine bedarfsorientierte Modularisierung sprach sich dann auch Dr. Berthold Broll, Vorstand der Stiftung Liebenau, aus: „Wir brauchen alle Talente aus allen Bildungsstufen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen." Dass die Träger in Deutschland, Österreich, Schweiz und Liechtenstein dann auf der Suche nach kompetenten Mitarbeitern zwangsläufig auch in Konkurrenz zueinander treten, sahen die Diskutanten nicht als Problem. Schließlich sei berufliche Freizügigkeit gewollt. Und das Ziel nicht nur dieser Tagung sei es, voneinander zu lernen.
Dialog muss weitergehen
Am Ende – so das Fazit von Roman Wüst, Generalsekretär des Gesundheitsdepartements St.Gallen und Vorsitzender der IBK-Kommission Gesundheit und Soziales – könne man die Tagungsteilnehmer „leider nicht mit einer definitiven Lösung" wieder nach Hause schicken. Es seien aber viele Kontakte geknüpft und Anregungen aufgenommen worden. Der Dialog müsse jetzt weitergehen: „Wir möchten die heutige Veranstaltung als Auftaktveranstaltung verstanden wissen".